Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich das Myxomatose-Virus nun auch beim Feldhasen in Mitteleuropa und Deutschland etabliert hat und erhebliche Auswirkungen auf seine Bestände haben kann. Zuvor war das Auftreten der Erkrankung eher bei Wildkaninchen bekannt. Die Wissenschaftlerin Dr. Luisa Fischer untersucht das Auftreten der Krankheit seit 2023 an der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildtiermanagement im Landesamt für Verbraucherschutz und Ernährung Nordrhein-Westfalen (LAVE). Im Interview mit dem Deutschen Jagdverband (DJV) stellt sie die wichtigsten Informationen zu der Wildtiererkrankung vor.
DJV: Wie ist die Myxomatose entstanden und wie kam sie nach Europa?
Fischer: Die Myxomatose wird durch das Myxomavirus, ein Pockenvirus, verursacht. Erste Ausbrüche wurden bereits 1896 in Uruguay bei Hauskaninchen dokumentiert – die dortigen Wildkaninchen waren der natürliche Wirt des Virus.
1952 wurde das Myxomavirus dann gezielt nach Frankreich und Australien eingeführt, um die Wildkaninchen zu dezimieren. Das Virus breitete sich innerhalb weniger Jahre in ganz Europa und Australien aus und reduzierte die Wildkaninchenbestände mit einer Sterblichkeitsrate von bis zu 90 Prozent.
Die neue Entwicklung bei Feldhasen begann 2018 auf der Iberischen Halbinsel: Durch eine Virusmutation gelang es dem Virus erstmals, massenhaft Iberische Feldhasen zu infizieren. Zuvor waren Hasen-Infektionen durch das klassische Myxomavirus sehr selten.
Im Herbst 2023 kam es dann zur sprunghaften Ausbreitung derselben Virusvariante (ha-MYXV) am Niederrhein. Wie genau die Übertragung stattfand, konnte nicht geklärt werden. Aufgrund dieser punktuellen Einschleppung ist eine menschengemachte Verschleppung am wahrscheinlichsten. Durch globalen Warentransport und Tourismus könnte das Virus über kontaminierte Materialien, infizierte Hasen oder Wildkaninchen verschleppt worden sein. Auch eine Übertragung durch infizierte Stechinsekten wäre möglich.
Wird sich die Myxomatose weiter ausbreiten?
Die Myxomatose bei Europäischen Feldhasen breitet sich weiter in Deutschland und Europa aus. Derzeit erreichen uns Meldungen aus Schleswig-Holstein, Bayern und Niederösterreich. Es ist davon auszugehen, dass sich der Erreger in den heimischen Beständen etablieren wird. Ob und inwieweit dies Einfluss auf die Bestände der Feldhasen und Wildkaninchen hat, muss weiter untersucht und dokumentiert werden. Große Sorgen machen bedrohte Hasenarten wie der Korsika-Hase (Italien, Sizilien) oder der Ginsterhase (Nordwestspanien).
Wie wird die Myxomatose übertragen und wann ist die Ansteckungsgefahr besonders hoch?
Das Myxomavirus wird wie andere Pockenviren hauptsächlich durch Stechinsekten wie Mücken, Flöhe oder Zecken übertragen. Da das Virus kleine Hautverletzungen als Eintrittspforte benötigt, ist dies der Hauptübertragungsweg.
Zusätzlich kann auch direkter Kontakt zu einem infizierten Tier zur Ansteckung führen, zum Beispiel bei Rangkämpfen oder der Paarung. Außerdem kann das Myxomavirus indirekt übertragen werden – also auch über Gegenstände, Kleidung, Schuhe oder Hundepfoten verschleppt werden.
Pockenviren können sehr lange in der Umwelt überdauern. Sie werden mit dem Krankheitsmaterial (Krusten, Flüssigkeit aus den Hautveränderungen) ausgeschieden und können in diesem Krustenmaterial über Monate ansteckend bleiben. Die Viren lassen sich jedoch gut durch Desinfektionsmittel unschädlich machen, geeignete finden sich in der Liste der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft. Wichtig: Hundepfoten sollte man nicht desinfizieren – hier reicht eine gründliche Reinigung mit Wasser und Seife.
Was ist der Unterschied zwischen Myxomatose und RHD?
Bei der RHD (Rabbit Haemorrhagic Disease) handelt es sich ebenfalls um eine Viruserkrankung, die vor allem bei Wildkaninchen zu massiven Krankheitsausbrüchen führt. Auch sie wurde vom Menschen weltweit verbreitet, um Kaninchenbestände zu reduzieren.
2010 kam es zu einer Mutation, die das Virus (RHDV-2) noch gefährlicher machte und die Sterblichkeitsraten bei Wildkaninchen ansteigen ließ. Diese Virusvariante kann nun auch Feldhasen infizieren. Die RHDV-2-Fälle bei Feldhasen treten jedoch bei weitem nicht so seuchenartig auf wie die Myxomatose.
Welche Wechselwirkungen zwischen diesen Erkrankungen bestehen, ist noch nicht bekannt. Was wir während des Ausbruchs 2024 in NRW feststellen konnten: An Myxomatose erkrankte Hasen wiesen durchaus auch weitere Erkrankungen, sogenannte Mehrfachinfektionen, mit anderen Feldhasenkrankheiten wie Tularämie, Yersiniose und Kokzidiose auf.
Welche Rolle spielt die Bestandsdichte für die Ausbreitung der Myxomatose?
Überraschenderweise haben die Hasendichten nur geringen Einfluss auf die Verbreitung der Myxomatose bei Feldhasen. Viel entscheidender scheint die Dichte der Überträger – also der Stechmücken – zu sein. Das Friedrich-Loeffler-Institut konnte in unserer gemeinsamen Studie herausfinden, dass das ha-MYXV bereits längere Zeit vor dem seuchenhaften Geschehen 2024 in der Region vorhanden war. Zur rasanten Ausbreitung kam es jedoch erst im mückenreichen Sommer 2024. Damals wurden auch weitere durch Stechinsekten übertragbare Erreger wie das Blauzungenvirus oder das Westnilvirus häufiger nachgewiesen.
Welche Maßnahmen können Jäger ergreifen, auch wenn sie das Wetter nicht beeinflussen können?
Voraussetzung für nachhaltige Bejagung ist die Bestandsüberwachung. Die Scheinwerferzählung oder Wärmebildzählung ist bei Feldhasen als Offenlandart relativ einfach und sollte unbedingt nach bekannten Protokollen erfolgen. Durch standardisierte Zählungen über die Jahre können die Feldhasenbestände sehr gut beobachtet und dokumentiert werden. Jagdstreckendaten sind wertvoll, aber nur wenn sie durch Dokumentation der Bejagung, auftretender Krankheiten und Schätzung des Nachwuchses ergänzt werden.
Verendete Tiere sollten geborgen und unschädlich beseitigt oder zur Klärung der Todesursache an ein Veterinäruntersuchungsamt gegeben werden – in NRW ist dafür ein Fallwildmonitoring etabliert. Positive Virusnachweise schaffen Gewissheit über die Todesursache und die Ergebnisse tragen zur Dokumentation des Vorkommens bei.
Ein gewisses Maß an Hygiene muss eingehalten werden, um Krankheitserreger nicht von einem Revier ins andere zu übertragen. Darauf achten, dass Erreger nicht über Bekleidung und Stiefel, über eingesetzte Jagdfrettchen und Jagdhunde oder verwendete Ausrüstung verschleppt werden. Es beginnt schon damit, mit sauberen Stiefeln zur Gemeinschaftsjagd zu erscheinen und diese vor der Abfahrt in einer Tüte zu transportieren und zu Hause zu säubern und desinfizieren. Das ist besonders wichtig bei Auslandsjagdreisen.
Für die allgemeine Gesundheit des Feldhasenbestandes sind Hegemaßnahmen unerlässlich, etwa Lebensraumverbesserung und angemessenes Raubwildmanagement. Dies unterstützt die allgemeine Fitness und Widerstandsfähigkeit der Tiere und hilft bei der Erholung der Bestände nach einem Krankheitsausbruch.
Wie soll in Seuchengebieten gejagt werden?
Da der Jagdberechtigte seinen Bestand am besten kennt, können nur sinnvolle Maßnahmen nach bisherigem Wissensstand vorgeschlagen werden. In Abstimmung mit den Jagdverbänden wird empfohlen, die Bejagung auszusetzen, sollte es zu einem akuten Ausbruch im Revier kommen.
Um den aktuellen Bestand vor der Bejagung korrekt einzuschätzen, lohnt sich eine Zählung wenige Tage vor der Jagd, damit der Zuwachs angemessen eingeschätzt und die gewünschte Strecke entsprechend abgestimmt werden kann.
Was ist bei der Hundearbeit zu beachten?
Leider tritt die Myxomatose, ähnlich wie bei Wildkaninchen, auch bei Feldhasen vor allem im Spätsommer verstärkt auf. Daher muss die Hundearbeit, also Ausbildung und Prüfungen, eng mit Jagdpächtern abgestimmt werden. Die Hundearbeit könnte in einem aktuell betroffenen Gebiet zu vermehrter Störung führen. Erkrankte Tiere, die auf Jagdhunde nicht oder nur eingeschränkt reagieren, sind für Ausbildung oder Prüfungen auch nicht förderlich. Flächen, auf die kurzfristig ausgewichen werden kann, sind hilfreich. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst benachbarte Reviere sehr unterschiedlich von der Myxomatose betroffen sein können.
Was ist bei Schleppwild zu beachten?
Beim Einsatz von Schleppwild muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Das Beziehen von Schleppwild aus entfernten Regionen oder anderen Ländern birgt das begründete Risiko der Einschleppung neuer Krankheitserreger. Da Myxoma- und RHD-Viren auch bei tiefen Temperaturen lange ansteckend bleiben – also durch Einfrieren nicht abgetötet werden – können solche Erkrankungen sehr schnell ins heimische Revier eingeschleppt werden.
Die Nutzung regional selten gewordenen Wildes wie Wildkaninchen zur Hundeausbildung ist kritisch zu sehen, wenn dafür Einfuhren aus anderen Ländern nötig sind. Möglicherweise wäre es an der Zeit, vorgegebene Regelungen bei der Hundearbeit zu überdenken und anzupassen.
Gibt es Behandlungen und Impfstoffe gegen Myxomatose oder werden sich natürliche Resistenzen ausbilden?
Derzeit gibt es weder wirksame Behandlungen noch Impfstoffe gegen die Myxomatose bei Feldhasen. Ob sich eine natürliche Resistenz ausbildet, ähnlich wie es bei Wildkaninchen beobachtet wurde, bleibt zu hoffen. Dazu sind bereits Forschungsvorhaben mit dem Friedrich-Loeffler-Institut geplant. Man kann an dieser Stelle optimistisch sein: Unser Feldhase schlägt sich bereits mit so vielen anderen Krankheitserregern herum – da wird er diese neue Virusvariante auch noch überstehen.
Zur Person Dr. Luisa Fischer:
Dr. Luisa Fischer, gebürtig aus der Pfalz, studierte von 2006-2012 Tiermedizin an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Nach ihrem Studium arbeitete sie mehrere Jahre an der Klinik für Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische der Justus-Liebig-Universität Gießen. Währenddessen erlangte sie neben dem Fachtierarzt für Vögel auch ihren Doktortitel. Sie absolvierte außerdem eine vierjährige internationale Weiterbildung am European College for Zoological Medicine und legte die Prüfung zum European Veterinary Specialist in Wildlife Population Health (Europäischer Fachtierarzt für Wildtiere) ab.
Seit 2019 arbeitet sie an der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildtiermanagement in Bonn (Fachbereich 4.1, Landesamt für Verbraucherschutz und Ernährung NRW) und hat seit Juni 2024 deren Leitung inne.
Luisa Fischer ist aktives Mitglied im Arbeitskreis Wildbiologie an der JLU Gießen und der Vereinigung der Wildbiologen und Jagdwissenschaftler Deutschlands.
In ihrer Freizeit ist sie leidenschaftliche Falknerin und engagiert sich in den drei Falknerverbänden. Sie beizt mit ihrem Wüstenbussard „Mephisto“ Wildkaninchen – ihr Rauhaarteckel „Paul“ und die Jagdfrettchen komplettieren das Jagdgespann.

Dr. Luisa Fischer mit Rauhhaarteckel „Paul“ (Bild: Privat)