FLINTBEK. Das Vogelkonzert im Frühjahrswald, die singende Feldlerche in der Agrarlandschaft oder die Möwen an der Küste – Vögel werden von vielen Menschen als prägendes Element in der Landschaft wahrgenommen. Veränderungen in der Vogelwelt und der Rückgang ehemals häufiger und landschaftsprägender Vogelarten wie Kiebitz und Feldlerche fallen daher auf – ebenso wie Neuansiedlungen und Bestandszunahmen bei auffälligeren Arten wie Seeadler und Kranich. Die seit den 1970er-Jahren erstellten Roten Listen der Brutvögel sind ein Spiegelbild dieses Wandels in der Vogelwelt Schleswig-Holsteins.
Nun ist die 6. Fassung der Roten Liste der Brutvögel Schleswig-Holsteins erschienen. Sie zeigt: Von den 216 Vogelarten, die regelmäßig in Schleswig-Holstein gebrütet haben, sind 83 Arten (38 Prozent) in eine der Gefährdungskategorien einzustufen.
Dazu gehören 22 Arten (10 Prozent), die als Brutvögel dauerhaft verschwunden sind, sodass sie als „ausgestorben“ (Rote Liste-Kategorie 0) gewertet werden müssen. Es sind Arten wie der Schreiadler, der bereits im 19. Jahrhundert durch menschliche Verfolgung ausgerottet wurde, aber auch der Brachpieper, der noch bis in die 2000er-Jahre in Schleswig-Holstein brütete. Erfreulich ist, dass mit dem Fischadler eine Greifvogelart, die ebenfalls im 19. Jahrhundert ausgerottet wurde, seit 2014 wieder zu den regelmäßigen Brutvögeln gehört und damit von der Kategorie 0 nach R („geographische Restriktion“) zurückgestuft werden konnte.
23 Arten (11 Prozent) haben in Schleswig-Holstein so starke Bestandsverluste erlitten, dass sie in die Kategorie „vom Aussterben bedroht“ (Rote Liste-Kategorie 1) eingestuft werden. Hierzu zählen mit Lach-, Brand-, Zwerg- und Trauerseeschwalbe gleich vier Seeschwalbenarten. Auch die Bekassine, die vor wenigen Jahren noch regelmäßig in Mooren anzutreffen war, musste neu in diese Gefährdungseinstufung aufgenommen werden.
Als „stark gefährdet“ (Rote Liste-Kategorie 2) werden 18 Arten (8 Prozent) angesehen. Mit Sand- und Seeregenpfeifer sowie der Küstenseeschwalbe sind ebenfalls drei Küstenvogelarten vertreten. Auch das Rebhuhn, das ehemals in der offenen Agrarlandschaft weit im Land verbreitet war, hat in den vergangenen Jahren so stark im Bestand abgenommen, dass es jetzt in diese Gefährdungskategorie aufgenommen wurde.
Zu den „gefährdeten“ Arten (Rote Liste-Kategorie 3) gehören 13 (6 Prozent) Vogelarten, darunter Kiebitz, Rotschenkel und Feldlerche. Zu den sieben Arten mit geographischer Restriktion (Rote Liste-Kategorie R) zählen beispielsweise die nur auf Helgoland brütenden Basstölpel, Trottellummen und Tordalke.
Nicht zu den Gefährdungskategorien der Roten Liste gehört die Vorwarnliste, in der 14 Arten (7 Prozent) aufgeführt werden, wie Austernfischer, Star und Wiesenpieper.
In der Analyse der Gefährdungsursachen und landschaftlichen Veränderungen sind mehrere Faktoren von Bedeutung. Für Arten der Agrarlandschaft wie Rebhuhn, Braunkehlchen und Greifvögel waren die in den 1990er- und zu Beginn der 2000er-Jahre im Zuge der EU-Flächenstilllegung vielerorts entstandenen Marktordnungsbrachen günstige Lebensräume. Mit dem Umbruch der Brachen und dem verstärkten Maisanbau ab Ende der 2000er-Jahre verloren viele Arten ihren Lebensraum.
Ein weiterer Faktor, der in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist die Prädation von Gelegen und Jungvögeln sowie zum Teil auch brütenden Altvögeln vor allem durch Fuchs und Marderhund sowie Wanderratten. Dies führt dazu, dass viele Küsten- und Wiesenvogelarten, die ihre Brutplätze im Feuchtgrünland, in Salzwiesen, auf Strandwällen und in Dünen haben, einen stark verminderten Bruterfolg aufweisen, der langfristig nicht zur Erhaltung der Population ausreicht. Orte mit gutem Bruterfolg waren bis vor wenigen Jahren die Halligen und die nicht mit dem Festland verbundenen Inseln. In den vergangenen Jahren dringen jedoch Fuchs und Marderhund über die befestigten Lorendämme auf die Halligen vor und die nicht mit dem Festland verbundenen Inseln und Halligen werden von Wanderratten schwimmend erreicht. Um wieder einen besseren Bruterfolg zu ermöglichen, sind daher dringend weitere Maßnahmen im Rahmen eines Prädationsmanagements auf den Halligen und in anderen wichtigen Brutgebieten erforderlich.
Hinzu kommt als Folge des Klimawandels eine Zunahme von Extremwetterlagen während der Brutzeit, wie zuletzt die Hochwasser-Ereignisse an der Nordseeküste Ende Mai 2022, als viele Gelege und kleine Junge weggeschwemmt wurden. Auch auf die starke Abhängigkeit der Küstenvögel von ihren Beutetieren haben klimatische Veränderungen einen großen Einfluss, denn für ein erfolgreiches Aufwachsen der Jungvögel müssen beispielsweise für Seeschwalben Schwarmfische wie Hering und Stint im richtigen Zeitraum in der entsprechenden Größe in großer Zahl vorhanden sein. Diese negativen Entwicklungen sind besorgniserregend, da die Brutvogelbestände des Wattenmeeres zum Teil nationale und im Fall von Austernfischer und Säbelschnäbler sogar große internationale Bedeutung haben.
Positive Entwicklungen sind beispielsweise die wieder ansteigenden Brutbestände bei Weißstorch und Steinkauz im Zusammenhang mit gezielten Artenhilfsprogrammen. Auch von der Ausweisung der Naturwaldflächen haben Brutvögel profitiert. In der Agrarlandschaft haben sich mit den Wilden Weiden der Stiftung Naturschutz und auf Flächen der Vertragsnaturschutzprogramme zumindest kleine Refugien für Vogelarten entwickelt. Durch die ganz aktuell mit den politischen Entwicklungen in der Ukraine verbundenen Forderungen nach einer erneuten Nutzungsintensivierung drohen diese Errungenschaften des Naturschutzes jedoch wieder verloren zu gehen, sodass insbesondere für die Agrarvogelarten die Zukunftsaussichten unsicher sind.
Die Erstellung von Roten Listen erfordert ein großes Wissen über die Bestände und die Bestandsentwicklungen. In Schleswig-Holstein sind neben den vom Land beauftragten Erfassungen die von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg (OAGSH) zusammengestellten und ausgewerteten ehrenamtlich erhobenen Beobachtungsmeldungen die entscheidende Datengrundlage. Die vorliegende Rote Liste wurde daher auch gemeinsam von beruflichem und ehrenamtlichem Naturschutz erstellt. Beim Schutz der Vogelwelt müssen Akteure aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten, um eine artenreiche Brutvogelwelt zu bewahren – denn Artenvielfalt ist Lebensqualität!
Die Rote Liste ist beim LLUR, Hamburger Chaussee 25, 24220 Flintbek, für 5 Euro zuzüglich Porto erhältlich. Sie kann per Post, per E-Mail an broschueren@llur.landsh.de oder telefonisch unter 0 43 47 / 704-230 bestellt werden. Zudem ist sie online kostenlos abrufbar unter http://www.umweltdaten.landsh.de/nuis/upool/gesamt/schmetterlinge/rl_voegelgesamt.pdf
PM Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein